Reise in die Vergangenheit – Theresienstadt und die Künste
Im Studium Generale an der Evangelischen Hochschule Moritzburg widmen sich die Studenten der kulturellen und politischen Bildung. Sind die Lehrveranstaltungen dazu in der Regel entweder dem einen oder anderen Bereich zugeordnet, bot sich – wie schon im Jahr 2012 mit dem Studientag zu Lessings Nathan der Weise – auch in diesem Jahr eine Möglichkeit, beides zu verbinden: Im September unternahmen die Studenten Alexander Bisupski, Anne Liepke, Max Schädlich, Mathias Strek und Susanne Thalheim zusammen mit Musikprofessor Jens Seipolt und Jürgen Scheinert, Referent im sächsischen Landesjugendpfarramt und dort der Fachmann für Geschichtsaufarbeitung, eine Studienreise ins tschechische Terezín und nach Prag.
Die einstige Garnisonsstadt Theresienstadt diente im Dritten Reich als Konzentrationslager, in dem die Nationalsozialisten zu Propagandazwecken jüdisches Leben mehr oder minder am Leben erhielten. Eben jenes „mehr oder minder“ ist das Charakteristikum dieses unheilvollen Ortes. Niemand, der in Theresienstadt inhaftiert wurde, konnte sich wirklich in Sicherheit wiegen. Nach Theresienstadt wurden unter anderem jene jüdischen Kulturschaffenden gebracht, deren plötzliches Verschwinden in der Öffentlichkeit unangenehme Fragen aufgeworfen hätte. Unter dem Decknamen eines Alterswohnsitzes für Juden wurde Theresienstadt dann auch tatsächlich zu dem Ort, an dem noch die Musik verbotener jüdischer Komponisten gespielt werden durfte (eben sogar sollte), jüdische Kabarettisten eine Bühne hatten und jüdische bildende Künstler ihre Werke ausstellen konnten; quasi öffentlich, wobei der Begriff der Öffentlichkeit in einem hermetisch abgeriegelten Ghetto natürlich relativ ist. Man traut seinen Augen nicht, wenn man die zahlreichen und liebevoll illustrierten Programmzettel in den Ausstellungsräumen der Terezíner Gedenkstätte sieht: Wie viele berühmte Künstler der Zwanziger- und Dreißigerjahre auf engstem Raum zusammengepfercht waren und trotz oder gerade wegen dieser Umstände ihr künstlerisches Schaffen auf der Bühne fortsetzten!
Erschreckend wiederum zu erfahren, dass es damit von einem Tag auf den anderen vorbei sein konnte. Auch die Häftlinge selber wussten das. Spätestens im Jahr 1944 nutzte auch kein Prominentenstatus mehr, wenn alle zwei Wochen ein Zug mit exakt 1000 Häftlingen von Theresienstadt in die Vernichtungslager zur Vergasung fuhr. Der Judenrat selber musste entscheiden, wer die nächsten sein würden.
Am zweiten Tag unserer Reise teilte sich unsere Reisegruppe auf, um parallel stattfindende Workshops zu besuchen. Übrigens waren unsere Studenten dabei nicht allein: Die Reise fand in Kooperation mit dem Herbert-Wehner-Bildungswerk statt, und dessen Referentin Susanne Gärtner hatte bereits mehrere Studienreisen in Konzentrationslager organisiert, an denen unter anderem rüstige Senioren teilgenommen hatten. Diese waren nun auch in Theresienstadt dabei, und die altersmäßige Durchmischung wirkte sich positiv auf die Auseinandersetzung mit Ort und Thema aus.
So mancher wusste von familiären Bezügen zum Nationalsozialismus (gar aus erster Hand) zu berichten, und so kam es immer wieder zu einem regen Austausch von Biographischem. Im Musikworkshop hörten wir CDs mit Aufnahmen von Musikstücken, die in Theresienstadt geschrieben worden waren und/oder zwischen 1942 und 1945 dort häufig erklungen sind.
Interessant war die Beobachtung, wie breit die Palette an Stilen und vor allem an Stimmungen war. Musik, die völlige Verzweiflung ausdrückte, war ebenso dabei wie Musik voller Hoffnung und Optimismus, ebenso Stücke, die das Leben in Theresienstadt auf die sprichwörtliche Schippe nahmen, indem sie es ironisch verklärten. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand Hans Krásas Oper Brundibár, ein Stück, das in Theresienstadt mit über 50 Aufführungen häufiger gegeben wurde als jede andere Oper (unter darunter waren auch Werke wie Die Zauberflöte oder Tosca!). Brundibár handelt von einem tyrannisch veranlagten Leierkastenspieler, der am Ende von den von ihm drangsalierten Kindern verjagt wird. Die Oper wurde einst von Kindern für Kinder gespielt. Und natürlich ging uns beim Anhören am „Originalschauplatz“ nicht die traurige Wahrheit aus dem Kopf, dass die vielen Aufführungen immer wieder mit neuen Kindern besetzt werden mussten, denn zwischen den Aufführungen rollten ja die Züge in die Vernichtungslager. Als Ende 1944 die Nazis noch einmal eine Propagandaaufführung von Brundibár anordneten, war es schon zu spät: Mittlerweile waren auch schon diejenigen abtransportiert wurden, die zu einer Neueinstudierung in der Lage gewesen wären. Auch ihr Komponist Hans Krása kam in Auschwitz ums Leben.
In dem Workshop zur NS-Propaganda ging es um den Film „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“. Er wurde 1944 zu Propagandazwecken gedreht. Hierbei wird die Stadt als idyllischer Wohnort für Juden dargestellt, mit angeblich funktionierender Gesundheitsversorgung, kulturellem Leben, Bildung. Die schreckliche Wahrheit, die sich hinter der Kamera abspielte, ist nicht zu sehen. Der Film war und ist ein erschreckendes Beispiel der NS-Propaganda. Von seiner eigentlichen Gesamtlänge von 45-90 Minuten sind heute nur noch 26 Minuten erhalten.
Der dritte Workshop beinhaltete eine Führung in der Kleinen Festung Theresienstadt, die zu Zeiten des dritten Reiches als Gestapo-Gefängnis genutzt wurde. Die Aufgabe bestand darin, sich der Thematik fotografisch zu nähern. Es war beeindruckend, die Tristheit des Ganzen mit der Kamera festzuhalten. Dadurch wurde der eigene Fokus auf viele Details gelegt, die man während einer normalen Führung vielleicht nicht mitbekommen hätte.
Die letzten anderthalb Tage verbrachten wir in Prag. Ein Zeitzeugengespräch eines ehemals in Theresienstadt Inhaftierten sowie ein Besuch von Synagogen, einer Gedenkstätte und dem jüdischen Friedhof im jüdischen Viertel rundete eine durchweg eindrückliche und nachdenklich stimmende Studienreise ab.
Die sechs Reisenden der EHM